Meine erste, direkte, meine erste leibliche Begegnung mit dem Theater begann während die Kriegszeit. Ich war 1940 in einer Chemnitzer Kaserne festgesetzt. – als Ausbilder. Ich war Nachrichtenmann, Telefonleitungen ziehen, eben Strippenzieher und Morser. Und während dieser trostlosen grauen Einerleiwelt, da ritt mich der Theaterteufel – Ich wollte nun in die Nähe des Theaters kommen, so nahe wie möglich. Und so rief ich den Intendanten des Chemnitzer Theaters, Dr. Schaffner, an und fragte ihn, ob ich bei Theaterproben dabei sein dürfe. Das lehnte er ab – Außenstehende hätten – wie bei einer Geburt – da nichts zu suchen, aber er machte mir ein interessantes Angebot – er fragte mich, ob ich als Statist mitwirken solle. Der Gedanke war mir noch nicht gekommen – aber er gefiel mir sofort. Aber wie war so etwas zu bewerkstelligen. Ich war ja an die Kaserne geschmiedet, wenn aus auch Theaterproben am Abend gab. Er fragte mich nach meinem Vorgesetzten. Es war ein Hauptmann der Reserve, Name Trommler. Da lachte der Theaterintendant Schaffner und sagte mir, das sei ein alter Freund von ihm. Er sei der Besitzer der Chemnitzer-Trommler-Schuh-Fabriken. Er wolle ihn anrufen und mit ihm meinen Fall besprechen. Schon zwei Stunden später war ich als Statist engagiert und damit frei von allen grauen, feldgrauen Diensten.
Von nun an wanderte ich beschwingt und erlöst an jedem Tage, an jedem Morgen an den grauen Exerziersoldaten vorbei. Früh um Acht war meine Zeit, da durchschritt ich täglich das Kasernentor. Die Theaterproben begannen um 10 Uhr. Ich war nun an keine Kasernenzeit mehr gebunden – Ich beschlagnahmte den ganzen Tag für mich – Das mussten sie hinnehmen – wer wusste von denen schon etwas von der Theater-Zeit. Ich war nicht mehr kontrollierbar.
Es war eine Welt aus Träumen gebaut mit erwachsenen Kindern auf der Bühne und auch dann – im Spiel – Spiele, Worte, Texte – Großes, Kleines – Klassik und
Modernes.
Ja - da hatte mich nun das Theater schicksalhaft eingeholt. Ich wusste damals noch nicht, dass ich in jenen Zeiten Mangelware war – Statisten – die waren in der feldgrauen Uniform, nicht auf den Theaterbühnen – so war ich nun ein Exot – Deshalb wohl auch – der Oberspielleiter Dr. Benno Hattesen holte mich bei seiner Inszenierung von ‚Prinz Friedrich von Homburg‘ an seine Seite. Er ernannte mich zu seinem Regieassistenten – das Stück war schon zur Hälfte inszeniert – Unwichtig. Ich saß jetzt neben ihm im Zuschauerraum zur Regiebegleitung – Ich hatte so etwas noch nie gemacht – noch nicht einmal davon gehört, dass es so etwas als Beruf gab. Aber wenn der Esel aufs Eis tanzen geht, oder, wie hier, auf das Eis gezerrt wird – kann sich das schnell rächen. Der Augenblick kam. Das standen sie nun die kurfürstlichen Offiziere am Sarg des von Froben – und Hattesen schimpfte. So halte man doch keinen Degen und die Fahnen seien auch anders zu handhaben – Auch Hattesen wusste, wie ich ahnte, nicht wie die Degenpräsentierer ihre Degen zu präsentieren hatten – oder die Fahnenträger – und, wohl auch im Vertrauen auf meine Uniform, und er schickte mich auf die Bühne, um diesen Unwissenden beizubringen, wie Degen und Fahnen richtig zu halten seien. Das aber wusste ich auch nicht – so wie ganz sicher niemand hier. Wie auf Samt, leicht narkotisiert ging ich zur Bühne. Ich musste etwas tun, sonst war ich erledigt. Und so tat ich etwas. Ich zeigte ihnen wie es richtiggemacht werden musste – Fahnen, Degen, eine andere Haltung. Und dazu die Stimme des Oberspielleiters aus dem Zuschauerraum, die Erlöserstimme für mich: „Na, bitte. Es geht doch. So bleibt es!!“ Und ich setzte mich wieder neben ihn und hielt einfach still.
Eines hatte ich jedoch nun gelernt – wenn du etwas tun musst, dann tu es – auch wenn du unsicher bist oder nicht weißt wie. Tue es so, als ob Du es wüsstest
und die anderen werden Dir glauben.
Aber nun wusste ich es genau. Ich wollte Regisseur und Schauspieler werden. Ein Beruf den ich lieben konnte – mein Brotberuf. Aber zu jener Zeit durfte man nur eine Schauspielschule besuchen nach einer Eignungsprüfung. Erst wenn die bestanden war und die Urkunde ausgehändigt wurde – waren die Tore aufgeschlossen. Die Eignungsprüfung erwirkte mir mein Oberspielleiter Hattesen. Ich fuhr nach Dresden zum Intendanten der Dresdener Komödie, zum Intendanten Papst. Ihm trug ich die Rollen vor, die ich gelernt hatte. Ich hatte den Eindruck, dass er einige Male gelächelt habe oder den Kopf geschüttelt – Kurz und gut. Ich bekam die Genehmigung und fuhr tief befriedigt nach Chemnitz zurück in meine Kaserne –
Aber was half mir das schon. Ich war Soldat, der Krieg lief und lief – und jede Bühne war weit, weit weg. Und auch wenn ich der Unbegabteste der
Schauspielerei gewesen wäre, die Genehmigung durften sie mir ruhig ausstellen. Ob ich je ein Theater im Frieden wiedersah, ob ich mit heilen Gliedern dann noch dabei sein konnte oder ob mich die
Erde auf immer festhielt. Die Genehmigung – ja, mein Gott, das konnte warten – das konnte nun warten.
Der Krieg spielte darüber hinweg. Kein Gedanke mehr an die herrliche Kulissenwelt, an
Applaus, Licht, Beleuchtungen, Publikum – Vorbei – fast vorbei – noch ein wenig festgehalten in Gedanken, schmalen Erinnerungen nun. Mein Publikum hier aber, das zielte mir auf die Leber, auf das
Leben.
Aber später – viel später dann, kurz nach dem Kriege, da zahlte sich das frühere
Dresdner Vorsprechabenteuer, die kurze Theaterbegegnung aus. Aber das ist eine Geschichte der besonderen Art. Nur erklärbar aus der unfassbaren Kopfunterzeit nach dem Donnern der
Geschütze.