Die erste Zeit in Berlin (1951 - 1952)

Die alles rettende Bescheinigung in Berlin war die Anerkennung als politischer Flüchtling. Da gab es mehrere Kommissionen – und da warteten hunderte, Trauben von Menschen darauf, dass ihr Name aufgerufen wurde zur Verhandlung, zur Befragung mit misstrauischen Abwägen. Gewundert hat mich nur, dass nicht verlangt wurde, den Volks-Polizisten gleich mitzubringen, der einen verhaften wollte. Es waren eben zu viele, zu viel der Bangwartenden, die ihre letzte Hilfe hier hatten. Und – die Kommission war total überfordert.

 Auch für mich kam diese Stunde der Wahrheit – nein, das wohl nicht ganz, die Stunde der Entscheidung für oder gegen mich. Und bei ‚Für‘ gab es dann auch monatliche finanzielle Hilfe – und ohne dies – da war man schon halb verloren. Wohl dem der jetzt Weltgeldfreunde hatte.

 Diese Kommission – Es wurde dort viel gelogen – auch als Überlebensrettung – wenn sich nicht sofort und für die Kommission nachvollziehbares ergab – dann konnte alles ganz schnell vorbei sein – die Hoffnungslosigkeit für eine neue Zukunft diktiert die Rollen.

 Auch ich türkte dort, so gut es eben ging und spielte etwas hoch, was so nicht ganz gewesen war. Freunde halfen mir dabei – sie bestätigten vorher abgesprochene Aussagen – so dass den geplagten Kommissionsmitgliedern schließlich keine andere Wahl blieb als mich anzuerkennen.

 Endlich! Ein anerkannter politischer Flüchtling in Westberlin – nun versorgt mit dem Segen von Westgeld – eine Art von kleinem, ganz kleinem Staatspensionär.

 Jubel! Ja, doch – aber allzu viel blieb nicht für das Maul, den Magen oder die Tuchumhüllungen. Bei Gisela und mir sah das so aus. Nach Bezahlung des möblierten Zimmers, nach Licht und Gas, blieb uns 1,20 DM pro Tag oder genauer gesagt – jeder von uns konnte pro Tag 60 Pfennige verprassen. Und die Läden waren voll – und das Maul gewässert vor den Schaufensterscheiben. Ab und zu half ein Bekannter für einen zusätzlichen Fleisch-Happen. Vor dem noch hochherrschaftlichen Haus, in der Nestorstrasse 1 – fünf Treppen in Charlottenburg, in dem unsere Bleibe nun war – vor dem Haus war ein Wochenmarkt – Den gibt es heute nicht mehr, dort ist längst alles zugebaut – Gisela ging nach Wochenmarktschluss an den Buden vorbei. Sie schenkten ihr, was sich ergab. So konnte mancher Kochtopf noch einigermaßen gefüllt werden.

Gisela und Joachim im Jahr 1951 (Archiv Tettenborn)
Gisela und Joachim im Jahr 1951 (Archiv Tettenborn)

 Auch der Bäcker gegenüber schenkte Gisela ab und zu ein Brot. Trotz allem – da war keine Bitterkeit bei uns. Wir nahmen das hin. Wir waren ja auch noch jung genug. Gisela fing sich auf diesem Wege eine Anämie ein und ich eine TBC – erst später bemerkt und da war alles schon geheilt und vernarbt.

 1,20 DM zum Verleben – trotz allem musste man ja auch etwas in die Zukunft investieren, irgendwie und irgendwo neue Verbindungen zu knüpfen versuchen. Da machte ich einen Anruf bei dem bekannten, berühmten Radiokritiker der Kulturszene, bei Luft – vergebens – kein Luft erreichbar und damit 20 Pfennig in die Luft geblasen – so kann man es sagen – also nur noch 50 Pfennig jetzt pro Tag für jeden – So ging das eine ganze Weile.

 Aber ich hatte ja noch einen Trumpf in der Hand – da war ich sicher. Nach Übernahme der SPD in die SED mussten die Mitgliedsbücher der SPD abge- geben werden. Ich tat das nicht. Ich versteckte das Parteibuch und verwahrte es für – nun man würde sehen. Nun war es so weit.

 In Westberlin gab es eine sogenannte OST-SPD. Sie vertrat die aufgelöste SPD des Ostens und hielt nach dorthin Kontakt.

 Jetzt nun wollte ich es ihnen zeigen, ihnen mein gerettetes Parteibuch vor die Nase halten, vor die Augen halten. Da würden sie aber staunen und mir zum Dank vielleicht eine kleine Leiter ins Zukünftige hinhalten.

 Es kam anders – ganz anders. Ich war für die Genossen zwar interessant, aber sie wollten nur wissen, ob ich im Osten konspirativ tätig war, ob ich Flugblätter verteilt habe – oder ähnliches in dieser Richtung. Nun – da musste ich aber passen. Nichts dergleichen hatte ich getan – und was mir so dort persönlich widerfahren war – sicher zum Teil strafwürdig – das interessierte sie nicht. Ich war für sie ein Ostversager – Pfui Teufel – da stand nun so einer, auch noch mit Ostparteibuch und musste zugeben, dass er eine konspirative Niete war.

 Nun kann aber auch ich ins Verwundern. Zum Parteibuchverstecken hatten sie zwar noch hingenickt, aber nun – Anklägeraugen – Was war ich nun? Nein – so etwas hatte ich nicht erwartet und so tat ich das einzige, was mir in diesem Augenblick möglich war – ich warf ihnen mein Parteibuch vor die Füße – kündigte meinen Vertrag mit ihnen – und ging.

 Also nun – das war also mein Trumpf – eine Null – Das gab mir zu denken.

 Aber eines war geglückt – wir hatten eine Unterkunft gefunden. Ein möbliertes Zimmer. Nestorstrasse 1, fünf Treppen, in Charlottenburg. Ich habe die Behausung ja schon kurz erwähnt und Giselas Nestorwochenmarktgänge.

 Der Kudamm lieferte uns auch die täglichen Nachrichten. Für uns war Zeitung ein Luxusartikel, auch ein Radio verbot uns unsere leere Tasche. Aber da war hinter Glas eine Zeitung aufgestellt, der ‚Berliner Tagesspiegel‘. Frei zu lesen – monetenfrei. Und dort standen wir dann an jedem Tage einmal und informierten uns. Danke noch einmal an den ‚Tagesspiegel‘.

 

Hörspiele

In meine Stempelzeit fiel ein Brief des NWDR. Ein Kurt Götz-Pflug erwartete mich zu einem Gespräch. Zunächst dachte ich – wieder ein Interview – nun schon etwas verspätet. Nein – es war ganz anders.

Nein, es ging nicht um Interviews, nicht um Radioplaudereien. Sie boten mir an – er bot mir an, ich solle eine Geschichte zu einem Hörspiel verarbeiten.

Jetzt war ich wahrhaftig erstaunt. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Hörspiel gehört, geschweige denn geschrieben. Aber so etwas muss sich doch machen lassen, dachte ich, und sagte einfach zu und ging mit der etwa neunseitigen schreibmaschinengeschriebenen Geschichte davon. Eines war klar: Es sei gewagt! Und ich habe nie Furcht vor etwas Neuem gehabt.

Die Geschichte erzählte eine wahre Begebenheit, ein Schicksal aus dem Osten Deutschlands, ein Schicksal aus der DDR. Es ging um einen Amtsarzt aus Leipzig. Er wurde immer amtsgemäß ins Gefängnis geholt, um Totenscheine für Häftlinge auszustellen. Er hatte jeweils natürliche Todesursachen auf dem Totenschein zu vermerken – aber dem war nicht so – in den meisten Fällen. Er hatte keine Möglichkeit, keine Zeit sein Gewissen zu befragen. Die Polizei, die Stasi, saß ihm im Nacken. Und er gehorchte. Er litt darunter, aber er gehorchte. Es war eine ganz verständliche Feigheit dabei. Ja, er gehorchte, bis, bis zu einem Tag an dem er den Druck nicht mehr aushielt und so floh er mit seiner Frau nach Westberlin. Übrigens seine Frau war eine ungarische Gräfin. Das hat mir damals sehr imponiert – na, ja – dazu kein Kommentar. Nun jedenfalls waren sie in Westberlin angekommen als Flüchtlingen und begehrten auch als Flüchtlinge aufgenommen, registriert zu werden. Sie wurden nicht abgeschoben – Das war schon alles – wie sich herausstellte. Sie durften bleiben aber die Anerkenntnis-Maschinerie verweigerte sich ihnen – aber nur nach einer Flüchtlings-Anerkennung gab es wieder ein bürgerliches Leben, ein einigermaßen bürgerliches Leben. Sie erhoben Einspruch gegen ihre Ablehnung – abgelehnt – Damit verlor sich ihre Spur. Niemand hat wieder etwas von ihnen gehört.

Nun – das war ein Stoff für mich nun nach meinem Theaterstück.

Aber nun kam es. Ich musste es ja schreiben - und wie schon erwähnt – ich hatte bisher nie ein Hörspiel gehört, geschweige denn geschrieben. Aber – ich war im Wort. Ich musste es einfach tun. Und mit voller Naivität und Unbekümmertheit macht ich mich an die Arbeit. „Hörspiel“ – das ergab schon der Begriff – das war ein Spiel, das nur zu hören war. Dialoge – natürlich, aber – die Personen des Spiels und die Schauplätze an dem es jeweils spielte, die mussten vorgestellt werden. Das heißt, wenn etwas in einem Arbeitszimmer spielt. So musste irgendwie angemerkt werden, dass es dieser Ort war. Zum Beispiel: „kommen Sie doch bitte mit in mein Arbeitszimmer“, „diese Küche habe ich vor zwei Monaten renovieren lassen“ dazu Küchengeräusche – also eine gesprochene Kulisse. Ich schrieb also, was ich hörte mit ergänzenden Geräuschen –

Dann war es geschafft. Ich hatte ein Hörspiel geschrieben. Spieldauer etwa eine Stunde, so wurde mir auch beim Auftrag gesagt. 14 Tage hatte es gedauert. Nun lag es auf dem Tisch zum Hintragen zu Kurt Götz-Pflug im NWDR. Wie gedacht, so getan. Nun hatte es die vorbestimmte Heimat gefunden. Ich – unerfahren auf diesem Gebiet, auch was die anstaltsmäßige Handhabe eines solchen Projektes betraf – so wurde ich nach drei, vier Wochen unruhig, ungeduldig. Und so zog ich dann dahin zum NWDR. Meine Frage nach dem Fortgang des Geschehens wurde für mich überraschend beantwortet. Das Hörspiel sei bereits in Produktion. Alles sei bestens. Das überholte mich schon, vor allem aber die Frage des Götz-Pflug-Boss, ob ich einen Vorschuss wolle – und ob ich das wollte. Und hier stellte sich heraus, dass ich bisher ja gar nicht wusste, auf welches Honorar ich warten durfte. Der Vertrag war postalisch falsch gelaufen – ich hielt ihn erst jetzt in meinen Händen. Als ich die Summe las, die mir der Vertrag mitteilte, verschlug es mir die Sprache. Ich fühlte mich sofort so wie eine Art von Millionär. 2400 Mark! Das soll mal einer glauben, einer so wie ich. Und nun ein Vorschuss von der Kasse in meiner Hand – einen Vorschuss von 1200 Mark - - -!

Ich hatte meinem Hörspiel den Titel gegeben:Beim Teufel abonniert“

Aber das hier nun, das war etwas göttliches für mich – 1200 Mark in meiner Jackentasche. In Scheinen. Das würde meine Gisela aus dem Sessel reißen. Das wusste ich und so war es auch.

Übrigens nachträglich erfuhr ich, dass an diesem Stoff schon drei sehr renommierte Hörspielautoren geschrieben hatten und gescheitert waren. Mein Gott! Wenn ich das gewusst hätte – aber nein, nein – ich hätte es trotzdem gewagt.

Unbekannte Radiozeitung, 6.2.1958
Unbekannte Radiozeitung, 6.2.1958

 Die Sendung kam, nach viel Vorlauf in der Presse – ich war ja immerhin der Autor der „Perspektiven“, der es geschrieben hatte. Das Spiel wurde positiv aufgenommen. Und nun kamen die Anfragen der Radiosender – RIAS, SFB - Aufträge. Ich schrieb nun mehrere Hörspiele, die damals, im Gegensatz zu heute, immer eine große Beachtung in der gesamten Presse fanden – teilweise mit Zeichnungen der Szenen. Zwei Hörspiele sind mir auch heute noch nahe „Der schwarze Schwan“ und „Übermorgen Regen“.

Aufträge auch für Schulfunkgeschichten – auch Gisela stieg hier ein. Dafür gab es kein grosses Honorar, aber die Wie- derholungen brachten es - oft fünf oder sechsmal. Ich habe damals die antike griechische Geschichte zum Hörklingen gebracht. Als ich einmal die Seeschlacht von Salamis ihnen auftischte, da lachte die ganze Sendegemeinschaft. Wie sollte das bewegt werden. Da ging es um hunderte von Schiffen, Kriegern. Nun – sie haben es bewältigt. Das ‚Wie‘ war ihre Sache. Gisela hatte sich der Berliner Lokalgeschichte zuge- schrieben für den Schulfunk. Wie der Name ‚Köpenik‘ entstand – und so – auch sie verdiente nun – nun waren wir Doppelverdiener. Wer hätte das einmal gedacht?