Nach den "Perspektiven" (1952)

Die ungewohnten und nun sich ergebenden Um- und Zustände spülten, wirbelten mich umher. Da saß ich plötzlich mit Carl Zuckmeyer und dessen Frau in einer Berliner Kneipe. Ich noch immer in meinen DDR-Klamotten – aber ungeschämt – noch galt für uns das 1,05 DM-Gesetz. Freundlich aufgenommen von Zuckmeyer und seiner Frau – Umarmungen. Am Schluss schenkte er mir einen Satz für das nächste Theatertun „Die Asphaltschluchten und der Mensch allein“. Ich begriff nicht wohin das zielte und es war auch nicht auf meinen Wegen. Aber immerhin „Zuckmeyer“ – wohlwollend, wohl dabei auch an seinen damaligen Theateranfang denkend.

Ich gehörte plötzlich nun dazu, ohne das aber wirklich ganz begriffen zu haben – in meiner äußeren schäbigen Ausstattung. Und so geriet ich auf einmal an Thea von Harbow. Sie empfing mich – eine Fürstin – Sie gewährte dem nun gefeierten Joachim Tettenborn eine Audienz. Das war ein großes Lob, eine große Anerkennung. Auch sie sagte zu mir: „Du hast Berlin erobert“. Und sie nahm mich auf und an – eine großartige Frau, eine der großen Frauen der deutschen Filmgeschichte – noch aus den zwanziger Jahren kommend. Wir blieben in Verbindung und trafen uns ab und zum im Hause des Dichters Sudermann in dem jetzt einer seiner Söhne wohnte – sein Stiefsohn Rolf Lauckner. Er hatte viele Drehbücher zu berühmten Filmen geschrieben und war auch Theaterschriftsteller – bei Wein, Likör, Schnaps und guten Gesprächen mit meiner Gisela und mir.

Es war eine ganze Strecke zu laufen zu dieser Sudermann-Villa. Wir mussten laufen. Das Geld für eine S-Bahnfahrkarte verbot uns unser schmales Salär. Aber, unsere Situation zu gestehen, das Verbot uns unser Stolz – dumm vielleicht – Die Thea von Harbow hätte so ein Problem mit links lächelnd erledigt. Sie war übrigens wieder ganz im Filmgeschäft drin. Gerade war ihr Spielfilm „Dr. Holl“ angelaufen. Das hatte sie sich aber auch verdient. Sie war ja nun wirklich die bedeutendste Drehbuchautorin der zwanziger und dreißiger Jahre. Sie war zu jener Zeit mit Fritz Lang verheiratet – ein bedeutender, wichtiger Filmregisseur. 1933 musste er vor den Nazis fliehen. Es gelang ihm auch in Hollywood Karriere zu machen. Thea von Harbow hatte die Drehbücher zu dem Kultfilm „Metropolis“ geschrieben. Auch die „Nibelungen“ waren aus ihrer Feder. Der Film wurde weltberühmt nicht zuletzt auf wegen der sagenhaften ingeniösen neuen Filmtechnik darin. Natürlich waren alle Filme von ihr von Fritz Lang inszeniert. Ihr Name wurde nach dem Krieg zunächst nicht mehr gehandelt. Sie hatte auch während der Nazizeit Drehbücher geschrieben. Eine Nazisse – eine Thea von Harbow? Nein! Das kann ich nicht glauben. Ja – sie hatte Filmgeschichte geschrieben. Nach dem Kriege wurden die Welterfolge wiederholt – aber es gab auf den Plakaten nur den Namen Fritz Lang – sie wurde unterschlagen.

Eine kleine Anekdote zu Fritz Lang dazu gereicht: Lang war zum ersten Male nach dem Kriege wieder in Berlin – noch ein wenig unsicher, wie sich ja verstehen lässt – Da stand er nun vor dem Tempelhofer Flughafen und blickte sich um. Da gab es seltsame Autos, wie er sie noch nie in der Welt gesehen hatte – da gab es diese Gogomobile. Auf sein Erstaunen gab es eine echte Berliner Antwort, wie er später erzählte. Ein Berliner fragte ihn, ob er wisse was das sei? Auf sein ‚Nein‘ antwortete der Berliner: „Das sind Menschen in Gelee“. Da war er wieder in Berlin – so empfand er das.

Da wurden Geschichten über Thea von Harbow berichtet. Sie habe beim Einmarsch der Russen auf einem Baum gesessen und Handgranaten geworden. So ein Unsinn – Sie war exzentrisch, außergewöhnlich, aber mit Sicherheit nicht dumm. Nach ihrer Ehe mit Fritz Lang, dem nationalen Juden – heiratete sie einen Inder, der aber in Indien schon verheiratet war. Das störte sie nicht. Ab und zu kam er auf Besuch und so habe auch ich ihn kennen gelernt. Sie nannte sich nun in ihrer Indienzeit - - TAIJI.

Was so viel wie Schwester hieß. So wurde es mir erklärt. Und diese Frau sollten in den letzten Kriegstagen Handgranaten geworfen haben? Trotz allem – sie wurde von den Briten, den Nachfolgern der Russen in diesem Bezirk verhaftet. Ihr wurde eine Sonderstellung zugebilligt. Das ließ sie sich nicht gefallen. Sie wollte gleichbehandelt werden, wie die anderen verhafteten Frauen. So schrubbte sie Flure, Stuben, Terrassen. Den Engländern hat das imponiert.

Ja – ich habe sie kennen gelernt. Sie war eine Barockfürstin. Auch ihre Figur passte dazu. Ihr Bett war zwei Meter breit, ihr Schreibtisch 4 Meter lang. Natürlich gehörte zu ihr auch eine Sekretärin – für – rund um die Uhr. 

Sie verdient wieder gut, sehr gut mit ihren Drehbüchern. Mit diesem Geld macht sie ungewöhnliches. Sie hatte sich zehn Studentinnen und Studenten der Uni ausgesucht. Sie wurden von ihr ausgestattet. Die Studentinnen hatten freien Friseurbesuch. Für alle – tägliches Abonnements-Mittagessen. Da wurde nahe ihrer Wohnung in der Heerstrasse Straßenarbeiten durchgeführt. Sommer – Gluthitze. Die Arbeiter durften sich kostenlos in einer nahen Kneipe bedienen – Essen, Trinken. Mir sagte sie einmal, als sie nun wusste wie es um mich stand: „Für Dich tue ich nichts. Du bist so wie ich, eine Lokomotive. Du ziehst, die anderen lassen sich ziehen.“ Dennoch – eines Tages ging sie mit mir zu dem Bekleidungskaufhaus C&A und kaufte mir einen Anzug. Ich habe mich kaum wiedererkannt.

 

Beinahe hätte sie mich zum Film gebracht. Sie wollte mit einem Stoff für ein Drehbuch abtreten. Hauptdarsteller sollte Gustav Fröhlich sein. Schauplatz Kolumbien. Vodoo-Kult, Dschungel, Verbrechen, Liebe. Die Yacht von Reemtsma stehe hierfür schon bereit.

Ich begann daran zu arbeiten. Ich habe eine Stoffzusammenfassung geschrieben – ein Exposé zum Drehbuch – aber das zerschlug sich dann. Vielleicht war das ganz gut. Mich – mich hatte das Theater.

Einmal hatte Thea von Harbow Gisela und mich zum Mittagessen in ein Lokal am Kurfürstendamm eingeladen. Das übertraf unserer derzeitigen Gewohnheiten. Mir wurde schlecht – Gisela litt länger.

 

Und dabei fällt mir ein kurioses, beeindruckendes Berlin-Erlebnis ein. Ich hörte von der berühmten Hellseherin Ursula Kardos. Bei ihr ging die Prominenz ein und aus – nun, ich ging hin und ein zu ihr. Ich wagte es. Es war mein erster Versuch in diese Richtung. Und ich wusste ja – da wurden haarige Honorare fällig – Ich hatte leere Taschen – Trotzdem – ich wagte es. Sie ließ mich zu. Sie sah mich an und sagte sofort: „Sie haben kein Geld. Das macht nichts. Sie kommen wieder auf die Beine. Und das wird nicht mehr lange dauern. Wenn das geschehen ist – dann komme sie zu mir mit einem Strauß Blumen.“

Ich saß ihr gegenüber. Sie rieb sich immer wieder die Augen, kniff sie zu, blinzelte und dann sagte sie mit etwas Erstaunliches: „Sagen Sie ihrer Frau, es ist nicht die Galle, es ist der Magen. Morgen ist alles wieder gut.“ Die Frau wurde mir unheimlich, zumal sie mir voraussagte, dass mein Leben bald schon goldenere Seiten haben würde – in einem großen, wichtigen Theater. Ich brauche nur abzuwarten – Höchstens ein paar Monate lang. Ich fragte sie, wie das möglich sei, was sie hier tue. Sie erklärte es so, dass die beim Kneifen ihrer Augen Bilder sehe – manchmal zeitlich nicht einzuordnen. Sie sah nicht hell – ich wusste es bald genau – so sah auch wahr.

Zunächst gab es eine kleine Rettungsinsel. Die „Tribüne“ stellte mich ein als Dramaturgen über den sogenannten „Künstler-Noteinsatz“. Nun war ich schon bei 230 Mark angelangt. Begrenzt auf sechs Monate. Trotz allem, die Untergrenze war zum ersten Male hier im Western überschritten. Nun konnten wir uns schon wieder einiges leisten – Dankbarkeit, ja – das sei auch hierzu gesagt.

   Ich muss noch einmal zurückgreifen zu meinem Sensations-Erfolg, auf meine „Perspektiven“. Da wurde das Theaterstück plötzlich gedruckt. Mit einer sehr großen Auflage – 50.000 Stück. Ich glaube, noch nie ist ein Theaterstück, noch dazu ein Zeitstück, in einer so großen Auflage gedruckt worden, Guiness-Buch der Rekorde! Oder – wozu, wofür – Veranlasst hatte das alles eine Gruppe von der ich vorher nie gehört hattest. Sie nannte sich „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“. Auf dem Umschlag Stacheldraht um den Titel „Perspektiven“. Den Menschen aus der DDR, die ich Westberlin ankamen – ich sagte ja schon, Bahnhof Zoo war damals noch die einzige Anlaufstation – denen wurde das Büchlein geschenkt. Es war handlich und gut gedruckt.

  Niemand hat mich nach meiner Erlaubnis gefragt, auch nicht meinen Verlag, den Kiepenheuer-Theaterverlag in Berlin. Es geschah einfach.

Es hat mich überrumpelt, überrascht. Natürlich hatte ich keine Pfennig davon. Auch der Verlag nicht. Das war ein klarer Rechtsbruch. Man hätte viel Geld bei einer Klage herausholen können. Vielleicht. Aber das alles das schwamm auf der Woge des Erfolges mit. Und ich dachte dabei wohl auch an meine Enttäuschung über die SED – von der ich mir zunächst etwas versprach. Einen Weg in die Zukunft – das war nicht so von Anfang an - aber so nach und nach. Ich versprach mir nach der großen Katastrophe einen neuen guten Anfang, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz – Rosa Luxemburg, Allende später – so hoffte ich. Aber bald schon musste ich erkennen – alles war nur Pappmaschee – ihre führenden Leute – nichts als billige Opportunisten der schlimmsten Art, Verräter an ihrer Idee und einer neuen Zukunft, die sie verspielten und die nun nie wieder eingeholt werden konnte – es gab sicher auch einige andere, aber da mussten sie schon mit Dummheit geschlagen sein. Jedenfalls schlug meine anfängliche Liebe dann in das Gegenteil um. Auf den Judaskuss der Verräter, setzte ich auf alles, was ihnen schaden konnte.

Das kleine Büchlein ging auch im Osten von Hand zu Hand. Damit habe ich mir keine Freunde aus meinen Feinden gemacht. Sie hatten nun wohl ein dickes Kreuz neben meinen Namen gesetzt. Für mich war das wie eine Auszeichnung.