ZDF (1962 - 1980)

Ein Brief vom Intendanten des ZDF, von Professor Holzamer. Er bot mir an, stellvertretender Chefdramaturg des Senders zu werden. Das machte mich zunächst sprachlos – eine solche Position und am größten Sender Europas. Und dazu ein Gagenangebot – da ging mein Herzschlag schneller. Ich zeigte Barlog den Brief. Er meinte nur dazu: „Ick habe Dir jrade einen Zweijahresvertrag jegeben. Fahr hin und kiek es Dir an. Denn kannste entscheide. Un das Jeld, war se Dir hier anbieten, det kannste ooch nach fuffzig Jahren nich am Theater verdienen.“

So fuhr ich hin nach Mainz und sagte dann ‚Ja‘ zum neuen Weg. Mainz war nun meine neue Zukunft, Ingelheim mein erster Unterschlupf. Zunächst für knapp ein Jahr mit jeweiligen Kurzunter-brechungen zum Besuch in Kladow bei der Familie. Junggeselle auf Zeit. Nach einem Jahr die Wiedervereinigung. Vier in Liebe dann wieder zusammen. Gisela zog weinend in Ingelheim ein – sie war ein Großstadtkind und an Berlin hing ihr Herz – aber das gab sich alles bald. Nun war ich auf einmal in Mainz – der ZDF-Fernsehstadt. Und auch hier – nun auch zum vertraglich gegebenen Berufsgang, stand wieder etwas Komik an meiner Seite. Ich fühlte mich betrogen – nur die hohe Gage stimmte. Ich war getäuscht worden – sicher, sicher – nicht mit Absicht – mehr aus Unvermögen, Unerfahrenheit der Senderleute. Aber – bei so einer großen Anstalt, da darf, da muss man Vertrauen haben. Ich hatte es. Stellvertretender Chefdramaturg – Welch ein Unsinn! Dieser Sender, kein Fernsehsender brauchte einen Chefdramaturgen, und natürlich erst recht dann keinen Stellvertreter. Mit einem Wort – wir waren mit unserem Amt gänzlich überflüssig. Und das hätte sie wissen müssen, die hohen Ansteller vom ZDF, bevor sie sich einen dafür angelten.

Nun muss man zugeben – die Gründung dieses Senders, des ZDF war ein völliger Neuanfang und auch ein Wagnis, da es kaum Fachkräfte gab für diese Neugründung. Die Fachleute waren längst untergekommen bei der ARD. Aber es gab Terminzwänge – es musste zugegriffen werden – wo nur etwas nach Fachkraft aussah, da lag ein Vertrag – da gab es viele viele Missgriffe. Und die Organisation – sie total zu überschauen – das war mit Sicherheit sehr schwierig.

Ich hätte schon bei meiner ersten Begegnung mit diesem ‚Chefdramaturgen‘ gewarnt sein müssen. Aber – das war ja nur eine Begegnung – und eine ziemlich kurze dazu. Sie fand meinetwegen in Berlin statt. Aber als aus einer kurzen Begegnung eine Zusammenarbeit dann in Mainz werden sollte – da wurde bald alles klar. Dieser Mann war für mich völlig inkompetent. Von Dramaturgie mag er vielleicht im Vorbeigehen einmal etwas gehört haben. Ein ehemaliger Pfarrer, der wohl in der Literatur kaum viel weiter als bis zur Bibel gekommen war. Ja – ich traute ihm nur wenig Kenntnisse der Literatur zu. Aber das wurde ja auch gar nicht gebraucht, wie sich nun herausstellte. Kurz gesagt: Alles Dramaturgische wurde in den jeweiligen Hauptredaktionen abgewickelt, in den jeweiligen Redaktionen. Wir hatten dazu nichts zu sagen. Natürlich konnten wir Vorschläge an die jeweiligen Redaktionen machen – dazu blieb nur ein Hohngelächter. Auch die Auswahl trafen die Redaktionen. Wir waren zuständig für Vorschläge die niemand haben wollte.

Da saß ich nun auf meinem Stuhl, auf meinem Sessel vor meinem Schreibtisch – eine Leeeer-stelle. Sollte ich hier nun zur Lachnummer verkommen? Zurück konnte ich nicht mehr. Zwei Gründe dafür: Einmal war es die hohe Gage, andererseits mein Stolz.

Vom stellvertretenden Chefdramaturgen zum 'Serienonkel'

Joachim Tettenborn, 1965 (Archiv Tettenborn)
Joachim Tettenborn, 1965 (Archiv Tettenborn)

Nun begann ich mich nach einem Ausweg umzusehen. Mein Stellenwert in dieser Anstalt, dank Schiller-Theater, Barlog – mein Stellen-wert war immer noch hoch. Das galt es zu nützen. Passiv sein – das lag mir nicht. Stillstehen, Stillhalten und nur meine Gage kassieren – nein. Das war unmöglich für mich. Ich wollte dabei sein, mitten drin sein im bunten Geschehen, bei Produzieren, beim – Dafür stand eine Tür in der Hauptabteilung „Fern-sehspiel und Film“ auf. Na, nicht ganz auf – aber mehr als einen Spalt. Da sah ich meine Chance. Der Hauptabteilungsleiter hieß Gerhard Prager, sein Stellvertreter war Stefan Barcava. Ihn kannte ich gut, und er mich. Ich habe ein Theaterstück von ihm im Schiller-Theater zur Aufführung gebracht. Der von mir sehr verehrte Regisseur Noelte inszenierte es. Eine deutsche Uraufführung. Ein mäßiger Erfolg. Ein Stück über deutsche Kriegsgefangene Soldaten in der Sowjet-Union. Aber damit waren wir nun – Barcava und ich – auf eine besondere Weise verbunden und so geriet ich an den Hauptabteilungsleiter Gerhard Prager, dem späteren Programmdirektor. Wir fanden einander wohl ganz gut. Er machte mir ein Angebot, dass ich fröstelnd weit von mir wies. Er bot mir an, Serienonkel der Hauptabteilung zu werden. Das hieß - ausländische Serien, vorzüglich amerikanische, auf dem internationalen Markt einzukaufen, Synchronarbeiten zu betreuen, aber auch – und da wurde es dann schon reizvoller – aber auch Eigenproduktionen und Co-Produktionen im Ausland in Gang zu setzen und zu betreuen. Trotzdem – ich versuchte Prager klarzumachen, dass ich ja Schriftsteller sei, kein Unterhaltungsclown der – bestenfalls – kulturellen Mitte. Aber wie auch immer. Nichts anderes zeigte sich für mich und so war es geschehen. Selbst meine geringen Englischkenntnisse, die ich für mich ins Feld warf, retteten mich nicht.

Diese zunächst ungeliebte Entscheidung wurde zu Gold für mich. Es brachte mich in die weite Welt – viermal um die Erde – viermal Dreh in Australien mit einem englischen und australischen Co-Partner.

Mit meinem Englisch mogelte ich mich durch. Und außerdem – es wurde langsam aber sicher besser – das war nun zwangsläufig.

Abenteuerlich viele – und eine Erweiterung des Horizontes, ein Neusetzen von Maßstäbe. Ich habe das einmal mit einem Erlebnis zu erklären versucht. Wer einmal in San Francisco am Hafen gestanden hat und zusah wie ein Flugzeugträger nach Vietnam abdrehte, dem schrumpfen die deutschen, die heimatlichen Probleme auf ein Minimum, der wurde sehr schnell politisch und auch geographisch der Ptolemäus weggeputzt von einem Kopernikus.

Das alles wurde nach und nach problemlos zur Routine. Und nun kamen auch Eigenproduktionen dazu. Das war das Gold für mich inmitten der vielen ausländischen Kaufserien. Zunächst durfte ich im Vorprogramm dreizehnmal je eine halbe Stunde produzieren. Die Zahl dreizehn ist keine heilige Zahl – sie glich sich nur der amerikanischen Vorgabe an, die jeweils für ein Vierteljahr dreizehn Episoden produzierten. Wir taten es nach, da wir hoffen von unseren Eigenproduktionen auch einiges ins Ausland zu verkaufen – und warum nicht in die USA.

Da gab es Serien mit bekannten Titeln und Namen und großen Erfolg. Ich denke dabei unter anderem an die Serie „SoKo“. Sie läuft noch heute. Bis zu seinem Tod spielte Werner Kreindl die Hauptrolle als Leiter der Sonderkommission. Die Fälle waren alle nahe der Wirklichkeit. Berater und Inspirator war ein Kriminaloberkommissar in Gießen. Ich habe ihn zweimal in Gießen aufgesucht und erstaunliches gesehen und erlebt. Beim ersten Male war ich mit ihm im Zuchthaus, dem früheren Zuchthaus, jetzt Justizvollzugsanstalt. ES war zu jener Zeit schwer in so ein Gebäude zu kommen. Die Linksextremisten waren überall am Werk – allen voran die RAF. Trotz allem – es gelang – dank ihm, der für mich bürgte. Ich ließ mich in eine Zelle einsperren, um zu erleben wie das ist – um eine Ahnung zu bekommen von der Zellenabgeschlossenheit – vom Eingesperrtsein. Ich brauchte das nicht zuletzt für meinen neuen Roman, an dem ich gerade arbeitete. Ich saß nicht lange in dieser Zelle, aber so an die zwei Stunden schon. Da begann ich einiges davon zu fühlen – meine Fantasie half mir dabei weiter. Und dort in Gießen erlebte ich auch, nein, nicht im Zellengebäude, nein, auf seiner Dienststelle dann – da erlebte ich, was ich bisher nur aus Hollywoodbeigaben zu Serien und Filmen kannte – die Verkleidung von Kriminalbeamten für ihre Nachttour. Da wurden aus den Justizbeamten plötzlich Penner, Schwule, Zuhälter mit ihrem Gehabe und Umhängungen. Das erweckte natürlich sofort in mir den Theatermann – Wie viel Bühne ist das Leben?

Eine andere meiner Eigenproduktionshalbstundenserien hier: „Die Protokolle der Herrn M.“ – mit dem Schauspieler Fleischmann eine andere Halbstundenserien, gedreht im Hamburger Hafen – es ging um Seerecht – Mit dem Schauspieler Wolfgang Kieling habe ich eine Feuerwehrserie gedreht. Das alles und vieles mehr. Dabei habe ich viel gelernt – es war ja meist ein völlig neues Milieu. Es gäbe noch Dutzende von Titeln und Erfolgen. Sie aufzuzählen – nein – das erspare ich mir.

Ich hatte mich schon daran gewöhnt, dass bei Talk-Shows über Fernsehen immer wieder die schlechten, flachen, amerikanischen Serien angesprochen wurden. Die Sender wurden hierfür geradezu an den Pranger gestellt. So schlecht oder so flach waren diese Serien aber gar nicht und ich weiß wovon ich rede – darüber hinaus muss einfach verstanden werden, dass so ein Fernsehsender ein Moloch ist, der gefütterte werden musste – m u s s t e ! Für zehn Stunden einer Kaufserie, voll synchronisiert, konnte gerade eben einmal eine Stunde Eigenproduktion gesetzt werden. Das war eine reine Geldfrage. Das ist der Fernseh-Alltags-Realismus der Produktionsszenerie.

Ich habe mich nie mit den Routineabläufen abgefunden. Ich habe immer und immer wieder versucht, etwas zu verändern, aus den altgewohnten Bahnen zu bringen. Nicht nur weil das Spaß machte, nein, auch um den Zuschauer immer wieder neu anzusprechen, anzureizen. Gegen Altgewohntes, gegen längst eingefahrenes sich zu stellen – das geht meist nicht ohne großen Widerstand der Programmmacher, die Gefahren aus Veränderungen möglichst vermeiden wollten. Das Alte, das war das Bewährte – damit konnte man gut zu Bett gehen, gut schlafen. Und so war und wurde ich immer mehr zu einem unbequemen Fernsehmitspieler. Mein Name stand für die Oberen bald für das Unberechenbare, das Ungewohnte – für das Risiko. Dabei – wenn ich das alles noch einmal rückdenke – war kaum etwas wirklich Revolutionäres jeweils geplant – nur um Veränderungen – aber das reichte eben.

Ja – ich gewann langsam aber unaufhaltsam immer mehr an Statur. Das brachte mir auch wichtige Punkte bei den anderen Kollegen des ‚Fernsehspiels und Film‘ ein. Sie produzierten die hehre Kunst – Fernsehspiele, Filme – preisgekröntes jedes Jahr wieder. Und ich - ich armes Schwein musste mir meine Erfolge wie die Wildschweine nach Trüffeln suchend erarbeiten. Sie ließen es mich nicht spüren, dass ich für sie, die „Künstler“, eigentlich in die zweite Reihe gehörte – der Unterhaltungsclown der Firma. Na, ja, ganz so sahen es wohl die meisten nicht. Bei mir waren – für mich außergewöhnlich – einige Minderwertigkeitskomplexe ausgebrochen. Ich war wohl auch zu empfindlich. Aber und schließlich war es mir dann egal. Damit konnte ich gut leben – ja, besser als sie. Punkt!

Unser damaliger Programmdirektor Viehhöfer rief mich einmal in sein Büro. Er sprach mit mir über meine Programme, meine Arbeit. Und sagte mir dann, dass ich Fernsehgeschichte geschrieben habe. Er gratulierte mir. Mit würde er erlauben, drei Produktionen in den Sand zu setzen – keine mehr. Ich habe keine einzige in den Sand gesetzt – mit Glück, ganz sicher auch mit Glück.

Joachim Tettenborn, 1975 (Archiv Tettenborn)
Joachim Tettenborn, 1975 (Archiv Tettenborn)

Auch Kuriositäten gehören meiner Ansicht nach dazu – selbst kleine, unwichtig erscheinende Geschehnisse. Da gab es etwas – kurz nachdem ich in die Serienarbeit gebracht wurde – eine Begegnung mit einem Redaktionsleiter, der ein Anliegen seiner Kollegen an mich bringen wollte – er war Redaktionsleiter des ‚Kleinen Fernsehspiels‘. Seine Redaktion wollte und sollte etwas Elitäres sein. Also war er einer der Priester der ‚Hohen Kunst‘ – so sah ich das - nicht ganz so ernst gemeint.

Ich hatte ein Programm in die Sendezeit zu setzen, das größer war, umfangreicher, als das gesamte Sendeprogramm des SFB, des Senders ‚Freies Berlin‘. Dieser Redaktionsleiter bat mich um einen Besuch in seiner Redaktion. Was lag ferner meinen Aufgaben als dieses Feld. Nun – neugierig suchte ich ihn auf. Und er trug mir im Namen seiner Kollegen etwas vor, was mich dann doch erstaunte.

Er legte mir nahe, meine Arbeit, meine Tätigkeit als Serienredakteur erheblich zu mindern. Er meine nicht weniger Programm – nein, nur das Tempo meiner Arbeit störte, wie ich nun hörte. Ich durchbräche alle Arbeitsnormen im Sender und das setze ein Beispiel, das nicht gut für die Kollegen wäre. Ich mache die Arbeit von fünf Redakteuren. Das hatten sie sich ausgerechnet. Dass mir das überhaupt nicht aufgefallen war - das nahm er mir nicht ab. Aber es war so – Meine gesamte Tätigkeit, war mir aufgrund meiner ursprünglichen Berufskenntnisse nichts Neues und es ging mir eben flink von der Hand. Was wurde nun von mir erwartet – zwischendurch zwei, drei Stunden spazieren gehen – Das kann doch unmöglich ernst gemeint sein - - Es war ernst gemeint.

Ich will mich nicht damit rühmen. Ich hatte einfach meine Erfahrung vom Theater her mit Geschichten, Abläufen, mit Schauspielern, die die anderen nicht hatte. Ich hatte außerdem eine besondere Begabung dafür. Trotz dieser angeblichen Normenbrecherei verblieb mir noch viel Zeit – mehr als den anderen – Zeit für Deinen eigentlichen Beruf, Zeit für das Schreiben von Theaterstücken, Romanen, Novellen.

Die meisten dieser Kollegen taten sich in der Tat schwer, sehr schwer. Später dann – nach einer meist längeren Einarbeitungszeit – ging das dann etwas besser. Aber für die meisten blieb es harte Arbeit, Schwerstarbeit – ja, für manche ein Trauma. Das mag anmaßend klingen, ist es aber nicht. Das kann ich schwören. Es waren eben zu viele unter ihnen, die vor dieser Begegnung mit dem eigenartigen Medium – sei es Theater, Fernsehen, Film – nichts oder nur wenig wussten. Einige waren früher Journalisten gewesen, andere – nun lassen wir das – nur so viel – ein guter Journalist muss nicht unbedingt auch etwas von Dramaturgie verstehen. Und manchem lag das alles auch gar nicht – da gab es einige ehemalige Buchhändler – nun gezwungen zu Medienkunstverständnis – Eigentlich konnten sie einem nur leid tun. Für sie war das nunmehrige Berufsleben ein einziger Stress. Daraus ergaben sich Fehlabläufe – zwangsmäßig. Da gab es dann kuriose Situationen – vor allem, wenn es an die Synchronisationen ging – die Rohdrehbuchübersetzungen mussten bearbeitet werden. Die Synchronregisseure waren dafür zuständig. Manche machten es sich da bequem, mancher der Synchronregisseure und Textbearbeiter, wenn er keine scharfen Beobachtungsaugen zu fürchten hatte. Die Überwachung hatten die jeweiligen Redakteure ihrer jeweiligen Serie. Ich höre in jeder Woche Geschichten hierzu – von Synchronschauspielern oder Regisseuren genüsslich erzählt – auch ein wenig aus Rache, denn sie waren diesem mehr oder weniger hilflosen Redakteuren ausgeliefert. Die großen Namen der Synchronregisseure und Texter konnten sich wehren – aber die Mittleren und Kleineren – sie waren ihnen ausgeliefert. Ein Beispiel der Hilflosigkeit. Da forderte eine Redakteurin vom Texter und Synchronregisseur, dass der Chef einer Künstleragentur zu einer Kundin sagen sollte: „Nehmen Sie Platz, Frau Sängerin“ – mit der hirnrissigen Begründung, der Zuschauer müsse ja wissen, mit wem er das zu tun habe. Das jedoch ergab sich ganz von selbst im Handlungsablauf. Ich könnte ein ganzes Buch hier zu schreiben, doch wozu - 

Apostelgeschichte

Wenn ich an Hamburg als mein Tätigkeitsfeld denke, an das Studio Hamburg, dann fällt mir eine besondere Fortsetzungsserie ein, ein Mehrteiler. Es war ein Meisterwerk von Fellini, dem berühmten italienischen Regisseur. Der hatte die ‚Apostelgeschichte‘ in Bilder und Text gesetzt. Der Mehrteiler war in Marokko gedreht worden. Die seltsame, karge Landschaft bracht die alte biblische Kulisse überzeugend dar. Fellini hatte in seiner Serie keine fertigen Schauspieler eingesetzt. Seine Mitspieler waren alles, allesamt Amateure, Eingeborene. Ausdrucksvolle Gestalten, einprägsame Gesichter. Das war Leben pur – eindringlich, manchmal auch verwunderlich, ungewohnt. So war Fellinis Apostel Petrus ein schmales Männchen, aber mit einem einprägsamen, unverwechselbaren Gesicht. Gestik und Statur ließen schnell vergessen, dass er eigentlich nur ein schmales Männchen war. Nein – er war eine überzeugende Persönlichkeit – Petrusglaubhaft. Fellini war ein Ästhet und das zeigte sich in dieser Serie. Manches war mir zu schön – das Farbenzusammenbringen, die Bildkombinationen – etwas rauher hätte ich es mir gewünscht – aber das verschwand bald hinter dem Gesamteindruck.

Meine Aufgabe war es zu diesen italienischen Texten die deutsche Fassung herzustellen. An dieser Serie zeigten die Kirchen starkes Interessen – sowohl die evangelische wie auch die katholische. Und so saßen Vertreter beider Kirchen bei meiner Arbeit rechts und links neben mir. Links der Dechant der katholischen Kirche, rechts der Beauftragte der evangelischen Kirche Jörg Zink.

Ihr Beistand war kaum von mir gefragt und auch sie sahen kaum einmal einen Grund eingreifen zu müssen. Nur einmal schrien sie auf. Der Apostel Paulus in Athen auf der Akropolis – und die griechischen Freigeister daneben. Atheisten. Sie hörten sich die Predigt von Paulus an, mokierten sich darüber und meinten schließlich „Religion ist Opium für das Volk“. Hier riefen sie beide sofort ‚stopp‘. Und nun erinnerte ich mich daran, dass das ja eine Parole der Kommunisten war. Ich änderte den Text und sagte das gleiche, nun von ihnen akzeptiert, da es keine direkte Beziehung zur anderen Parole mehr herstellte. Und so ließ ich die Freigeister sagen „Religion ist für viele wie Rauschgift“. Da stand es nun störungsfrei.

Eines war besonders gut in diesem, meinem Falle – die beiden Geistliche verstanden sich gut, mehr noch, sie waren alte Bekannte, fast Freunde aus der Kriegszeit. Sie waren beide Jagdflieger gewesen und das auch noch in derselben Staffel.

So – dann war das Werk beendet. Wir fanden noch uns noch einige Tage am Mischpult, das für mich immer aussah wie die Gerätschaft vom Raumschiff Enterprise. Hier wurden Geräusche, die Sprache dazu und die Musik zusammengemischt – auch Lautstärke – über- oder nebeneinander. Die Techniker am Mischpult waren wahre Meister ihres Faches. Und von ihnen hing gewaltig viele ab – so wie auch zur Fertigstellung der Filme der Schnitt.

Diese Mischpulte waren teilweise 6 – 8 Meter lang und 2 Meter breit. Ich kann es nur wiederholen: sie gleichen mit ihren Knöpfen, aufleuchtenden Signalen, ihren Schauscheiben – einem fliegenden Ungeheuer.

Nun also – auch das warf vorbei. Die Filme der Serie lagen bereit – sendebereit. Filme dieser Art waren vorgesehen für die Feiertage – die kirchlichen natürlich vorzüglich – Hier war Pfingsten eingeplant.

Übrigens hatte sich Fellini zur Pfingstbotschaft, zur „Ausgießung des Heiligen Geistes“, das jeder plötzlich in seiner eigenen Sprache verstehen konnte, etwas ungewöhnliches einfallen lasse. Die Predigt ging unter in einem Glockensturm kleiner Glöckchen. Das war ein genialer Einfall – und mir eine Gänsehaut wert.

Nun also – die Tat war getan und nun war Feiern angesagt. Dieser Feierabend war vorbereitet worden vom ‚Studio Hamburg‘. Die Feierleute waren: Der katholische Dechant, Jörg Zink der Evangelische, der Studioleiter und ich. Zunächst ging es zu einem fulminanten Fischessen in ein Speiserestaurant erster Klasse. Was weiter geplant war, hielt der Studioleiter noch geheim. Also bitte - warum sich nicht überraschen lassen.

Und dann kam es. Wir waren ins ‚Salambo‘ eingeladen, dem schärfsten Show-Sexclub von Hamburg auf der Reeperbahn. Die Salamboleute warteten schon auf uns – wir waren angemeldet und Sesselreserviert. Natürlich lief die Show schon als wir ankamen. Aber kaum hatten wir Platz genommen und den ersten Drink gekippt - ließen sie für uns, zur Feier, das schärfste Ding los, das sie in ihrem Repertoire hatten. Zwei Frauen, vollständig nackt, trieben es mit einer Flasche. Mir war das peinlich – Wenn ich alle gewesen wäre, da wäre das kein Problem gewesen – aber mit kirchlicher Begleitung. Ich blickte zu meinem evangelischen Begleiter – vorsichtig – aber, oh Wunder, er lächelte mir zu. Also genehmigt diese scharfe Nummer. Übrigens der Dechant hatte sich knapp vor dem Salambo abgesetzt – das muss noch dazu vermerkt werden. Wie hätte sich das auch bei einer Beichte gemacht.

- aber, wenn ich daran heute noch einmal zurückdenke – dass eine Apostelgeschichte so enden konnte - -

Es wurde noch ein lustiger Abend im ‚Atlantik‘ an der Bar.

Gesagt werden muss noch einmal, das alles geschah mit Willen, mit Planung der Geschäftsleitung des ‚Studio Hamburg‘. Sie trauten uns wohl einiges zu. Vielleicht hatten sie sogar ein kleines Schmunzeln dazu. Aber – ich wiederhole mich bewusst – nach so einer Apostelgeschichte – dieser Abschluss – das hatte zumindest schon etwas Exotisches.

Besuch in Los Angeles

Nun lag Los Angeles auf meinem Weg – meinem Bonanza-Weg. Mein erster Amerikabesuch – nun nach New York L.A. – Alles neu – alles – ich, gierig, neugierig und gespannt. Die Filmstadt – Hollywood. Sagen – Legenden – märchenhafte Erzählungen und Berichte. Die Weltstarschmiede – die großen Leinwandsterne – eine Zauberwelt für mich – weit über irgendwelche Filme hinaus.

Ankunft am Flughafen Los Angeles. Ein Taxi zum vorbestellten Motel. Ab ging die Fahrt. Der Fahrer merkte natürlich sehr schnell, dass ich ein Ausländer war - und auch ein Deutscher. Sein Name war Schüler – ein deutscher Familienname. Seine Großeltern waren aus Deutschland eingewandert. Zu Hause bei ihm würde hin und wieder auch noch deutsch gesprochen. Er jedoch könne das Deutsche kaum. Wir fuhren und fuhren. Ich hatte zwar gehört, dass L.A. eine ungeheure Ausdehnung habe, aber für so groß – Das war doch etwas merkwürdig. Mein Schüler erzählte und erzählte. Der Abend ließ sich nieder. Es ging langsam schon in die Nacht. Wie lange waren wir nun schon unterwegs - – Ich sah auf meine Uhr. Drei Stunden und nun zur vierten. Das konnte doch nicht stimmen. Und plötzlich standen wir in der nächtlichen Wüste – unter einem prächtigen Sternenhimmel. Ja. Das war so eine Situation, die viel versprach, aber kaum etwas Gutes. Was sollte dieser Mann von mir? Er erklärte nun, er habe sich verfahren. Ein offensichtlich doch wohl erfahrener älterer Taximann aus dieser Stadt – er hatte dazu viel erzählt – und er verfuhr sich auf so fatale und lange Weise – nein – das war nicht zu glauben. Und er wusste hinwiederum, dass ich zum ersten Male in den USA war und damit auch zum ersten Male in L.A. Er konnte sich nicht verfahren haben, zumal mein Motel an einer bekannten Straße lag. Anderes hätten sich meine Filmkunden auch nicht leisten können – und auch ich war Kunde – ihrer – und ein zahlungskräftiger dazu.

Er habe sich verfahren – Da hielten wir nun in der Wüste unter diesen herrlichen Sternenhimmel – das nahm ich so am Rande noch wahr. Was nun? Was konnte nun geschehen? Eine lohnende Beute war ich auf jeden Fall. Das war klar – mit Reiseschecks und sonstigem Geld – und – Erstaunlicherweise blieb ich völlig ruhig und kühl. Ich sagte mir, wenn er eine Pistole bei sich hat, dann ist es aus. Wenn er nur ein Messer hat – vielleicht – auch keines – mit dieser Situation traute ich mich fertig zu werden. Aber es kam nicht dazu. Er erklärte noch einmal, er habe sich verfahren, wendete sein Auto und fuhr wieder in die Lichterstadt zurück. Er lieferte mich brav und kein wässerchentrübend im Motel ab. Seine Forderung nach einigen Extradollars lehnte ich ab. Er schien das erwartet zu haben und gab sich damit zufrieden. Jetzt begannen mir aber doch ein wenig die Knie zu schlottern – Jetzt – nachträglich –

Mein Bericht am nächsten Tag bei meinen Produktions- und Firmenleuten bestätigte meinen Verdacht, dass ich hier nur knapp einer lebensgefährlichen Situation entkommen war.

Und wenn es geschehen wäre? Ja, wenn er mich erledigt hätte, dann brauchte er mich nur nackt auszuziehen und die nackte Leiche eines Weißen spricht keine Sprache mehr. Nur ein Vermisster mehr, nicht identifizierbar – Das wäre es dann gewesen.

Ich habe mich später bei meinem Sender kundig gemacht, was nun gewesen wäre, wenn ich einfach so verschwunden wäre. Klar – ich hätte als vermisst gegolten. Witwenrente gab es also nicht – nicht ohne Todesgewissheit - und außerdem – einem nicht mehr vorhandenen Mitarbeiter zahlt man keine Gage mehr.

Los Angeles – L.A. – da gab es vieles zu entdecken. Natürlich Disneyland, Marine-Land, dann die Welt der ‚Universal City‘ von MCA im Hollywood-Gelände. Sie hatten einen eigenen Bürgermeister – Westernkulissen, realitätsgenau – zum Verwechseln mit der Realität – Fuhrparks mit Fahrzeugen aller Art – von deutschen Spähwagen bis zu Berlinbussen – Westernkarren – ein Stehwagen mit zwei Pferden für Cäsar, Monsterhöhlen. Atemberaubende Stunts bei einem Pseudofelsenhügel. Die Garderoben der Großen der Flimmerwelt. Meine Firmenbegleiter schossen Fotos von mir in dem Um- und Umherum. Das Fotoalbum haben sie mir geschenkt nachgesandt. Ich besitze es heute noch in meinem Schrank. Natürlich Besuch der berühmten Filmstudios NBC, MCA – Hier wurden die großen weltberühmten Filme gedreht – nun ganz nahe dran –

- oder später dann zum Lunch oder Dinner im eleganten Feinschmeckerrestaurant der großen Welt, vor allem der Filmwelt, im „Beverly Hills“. Da saßen sie, die Großen. Keine Reporter, kein Autogrammjäger. Hier war man unter sich. Ein paar Shakehands in die Luft, ein Hinlächeln, einen kleinen Gruß – Man kannte sich. Die Fremden hier waren Bekannte von Bekannten –

Die Villen der Hollywoodköniginnen und -könige. Imponierend, gewiss, meist – aber auch einiger Kitsch dabei. Das gehörte hier wohl dazu.

Malibu‘ – das Luxusviertel. Dort hatte auch John Steed der eine Held der Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ sein Haus. Der Ruhm aus dieser Serie hatte längst auch die USA erreicht. Patrick – alias John Steed – erzählte mir später in London, was ihm da geschehen war. Nachts klingelten zwei uniformierte Polizisten an seiner Türe. Er kam zu ihnen. Sie fragten, ob er der große Held aus der Serie „The Avangers“ wäre – das war der Titel in englisch – als er das bejahte, forderten sie ihn auf, zu zeigen war er könne. Sie griffen ihn an und schlugen ihn krankenhausreif –

Ja – so etwas kann es also auch geben über eine Spannungsserie. Ja, und so holten mich die Seriengeschichten über Amerika wieder ein –

Bei Dreharbeiten zu „Bonanza“ lernte ich in L.A. – in und vor den großen Filmstudios auf Lorne Green, alias Ben Cartwright, kennen. Wir verstanden uns gut, zumal er einen erfrischen guten Humor hatte. Wir hatten auf gute, auch private Gespräche. Dabei erfuhr ich auch, dass seine Eltern einmal aus Polen in die USA eingewandert waren. Es war eine polnisch, jüdische Familie. Er aber – er war ein Vollamerikaner geworden, so darf man es sagen. Europa lag eindeutig hinter ihm.

Auch die anderen Mitglieder der Serienfamilie lernte ich so nach und nach beim Drehen kennen. Ich trank mit Little Joe und dem dicken Hoss so manches Gläschen Whisky und ass mit ihnen so manches saftige Steak. Da wurde so eine Serie zur unverhofften Realität. Ben Cartwright hatte sich ein Haus bauen lassen, dass sowohl außen, wie auch innen der Film-Ponderosa entsprach. Er kam also aus der Film-Ponderosa zu seiner Privat-Ponderosa nach Hause. Da durfte man schon ein wenig staunen. Aber warum auch nicht. Mich störte das nicht.


Im Anschluß an einen Arbeitsbesuch in L.A. verbrachte Joachim Tettenborn mit seiner Frau Gisela einige Urlaubstage auf Hawaii.