Joachim Tettenborn hat sehr umfangreiche Er- innerungen an den 'Störtebeker', die hier etwas gekürzt wiedergegeben werden.


Die Vorgeschichte: Da ist mir der Intendant des Ernst-Deutsch-Theaters, Hamburg, Friedrich Schütter bei meinem Riemenschneider über den Weg gelaufen. Einer der Hauptrollenspieler er – wohl auch beeindruckt von meinen Theaterstück – sprach mich an und bestellte einen ‚Störtebeker‘ bei mir. Ich tat es. Die erste Fassung war ihm zu intellektuell, die zweite Fassung war nun gefragt, er ließ sie liegen. Aber vor einer Ablehnung der zweiten Fassung – wohl auch aus einem etwas schlechten Gewissen – nahm er den Villon an, der sonst wohl nie zu ihm gekommen wäre. Die zweite Fassung nun aber streckte sich hin zu einem Musical.

Diese seltsame Verknüpfung dieser drei Stücke, diese fast kuriose Nähe – es scheint mir fast, als ob ein Himmelsspieler darüber die Fäden geführt hat – jedenfalls wurde es zu einer Gleichung, die wunderbar aufging .

Eines Tages verführte es Bernd Tetens und dann natürlich auch mich ins Große. Ich hatte Bernd vom Schicksal meines Störtebekers erzählt. Er wollte das Stück lesen und er tat es. Und beim Wein in meinem Westerheverhaus und Gesprächen und herrlichen Spinnereien, kam ihm ein Gedanke, den ich zunächst als Spaßtraum ansah. Er meinte und wiederholte es mehrmals, dass dieses Stück doch ein Objekt für eine Husumer Theateraufführung sein konnte. Wo denn? Es gab kein Theater in dieser verhältnismäßig kleinen, liebenswerten Hafenstadt, in der ‚Grauen Stadt am Meer‘ wie Storm sie einmal genannt hatte. Nein – er dachte nicht an eine Theateraufführung der üblichen Art – es sollte eine Freilichtaufführung werden, denn diese ‚Piratenrevue‘, wie ich das Stück nannte, war eigentlich ein Musical – es brauchte nur noch ein paar Songs und einen guten Komponisten für die Gesamtmusik.

So weit, so gut – aber die Finanzierung!!! Zum Anfangen brauchte es ein Anfangsgeld – und in einer gehörigen Menge. Es war klar bei einem Finanzierungsrundblick, dass es ein Millionending werden würde. Das Startgeld war zunächst das wichtigste – erst dann kam alles ins Laufen. Aber dieses Geld hatten wir nicht. Er nicht, ich nicht und weit und breit kein Sponsor zu sehen.

Aber – so ist es eben beim Träumen, die von heißen Herzen hergeträumt werden. Sie ziehen gute Geister an. So geschah es auch hier, um die ersten zwei, drei Schritte in die neue Theaterfreilichtwelt zu gehen.

 Es ereignete sich in München, im ‚Bayrischen Hof - - - Ich war befreundet mit Dr. Leo Kirch, dem vielbesprochenen, gescholtenen und beneideten großen Münchner Filmboss der Beta-Film. Unsere Freundschaft ruhte noch aus meiner ZDF-Zeit her. Wir hatten Gefallen aneinander gefunden.

Ich war inzwischen ZDF-frei und nur noch mit meinem Hauptberuf freischaffend beschäftigt – mit meinem Schreiben. Geschäftlich war ich somit für ihn völlig uninteressant. Ich war kein Kunde mehr. Aber unsere Freundschaft überdauerte das leicht.

Er fragte natürlich nach, was ich künstlerisch täte oder vorhaben. Das war mein Stichwort für meinen Störtebeker. Ich erzählte ihm von unserem gemeinsamen Vorhaben, in Husum ein Freilichttheater hinzustellen mit meinem Störtebeker mit guter, eingängiger Musik – ja, ein Musical in Husum. Und ich fragte ihn, ob er mir dabei Hilfestellung leisten könne. Er war ja mit den Bossen der Hochwirtschaft gut bekannt und befreundet. Vielleicht wären die – einer oder ein paar mehr- bereit hier sponsorisch einzugreifen, denn dieses Vorhaben war ein Millionenprojekt.

Er hörte sich das an – und nach einer Weile des Nachdenkens – sagte er mir zwischen Fisch und Wein: „Ich gebe Dir für Dein Musical das Startkapital. Du bekommst es auch schriftlich.“

Das traf mich unvorbereitet und hier konnte und sollte ich gar nicht reaktionsschnell genug sein. Das war ein Volltreffer und mehr – damit war das gesamte Projekt aufs Vorwärtsgehen gebracht.

 Das war der entscheidende Schritt vorwärts. Kaum war ich in mein Wackernheimer Haus zurückgekehrt, rief ich meinen Freund Bernd Tetens an. Er musste es so schnell wie möglich erfahren. Bisher hatten unsere Träume nur Flügel – jetzt würden sie Räder bekommen. Dann hatte ich ihn an seinem Husumer Rohr – an seinem Handy – und wir plauderten zunächst nur so dahin – wie so oft. Ein Einleitung sollte sein. Dann fragte ich ihn, um von den Träumen in ein Wirklichkeitsland zurückzukehren – da fragte ich ihn, wieviel Geld wir wohl brauchen würden, um anfangen zu können. Nach einer Nachdenkpause nannte er mir eine Zahl. „Nun, wenn es (Summe soll hier nicht genannt werden)  wären, dann käme das Projekt ans Licht“. Als ich mitteilte, dass ich diese Summe für uns habe, bat er mich, keine Scherze dieser Art zu machen. Aber mir war gar nicht zum Scherzen – das begriff er jetzt. Aber so viel Geld – und woher – Ich machte ihn kundig, das ließ ihn verstummen.

Ich traf Bernd in Husum. Wir führten mehrere Telefongespräche mit Wölffer. Uns ging es nun darum, einen so prominenten und erfahrenen Regisseur, wie er es war, zu gewinnen. Wir trafen ihn auf Sylt in seinem Haus. Und viele Gespräche kamen hinzu. Letztenendes hatten wir seine Zusage. Und er war der Mann, der viele außerordentlich erfolgreiche Musicals inszeniert hatte und wusste worauf es ankam. Er heuerte auch unseren Komponisten an, den er durch seine Theaterkompositionen kannte. Es war ein Engländer, Andrew Hannan. Und er lieferte eine Musik zum Küssen dazu. Einiges war mir ein wenig zu gefühlig – kitschig mag ich nicht sagen – aber das war wohl gerade richtig hierfür. Es gab einige erstklassige Ohrwürmer.

Der Bühnenbildner Rainer Sinell wurde tätig, eine Produktionsleiterin wurde engagiert. Sie war eine immens tüchtige und erfahrene Frau, die für uns sehr hilfreich wurde – es war Frau Lieselotte Ferstl. Hinzu kamen natürlich gefragte Lösungen technischer Natur. Der genaue Standort war kurz davor gefunden worden – es war der Husumer Binnenhafen. Die Bühne stand im Nordseewasser. Rechts und links davon lagen Privatyachten und Boote. Eine unbezahlte Kulisse – und wirkungsvoll dazu.

Irgendwann wurde es zum Anfassen und Ansehen. Es hatte sich nun zu einem teurem Werk entwickelt. Nun mussten uns die Kartenkäufer helfen. Propaganda, Reklame – alles gut und schön – das alles ließ sich aber bewerkstelligen. Worüber wir aber keine Macht hatten, keinen Einfluss, das war das Wetter und das war ein ausschlaggebender Faktor bei sei einem Freilicht-Musical. Und hier ließ uns der Himmel im Stich. Alte Husumer sahen uns bekümmert an. „Der schlechteste Sommer seit mehr als zwanzig Jahren.“ Das war kein Trost. Wenn die Temperatur 15 Grad anzeigt und Nieselregen einsetzt – wer ist dann noch gewillt sich zwei Stunden zur Vorstellung hinzusetzen. Leider war es oft, zu oft so oder so ähnlich. Manchmal fanden sich unter diesen Umständen nur wenige Zuschauer ein. Und auch das fand ich bewundernswert. Ich hätte mich nicht hingesetzt.

Das Wetter blieb unser Feind – bis zuletzt – bis zuletzt fast. Und das hatte Folgen. Irgendwann begann das Geld zu fehlen. Da musste eines Tages Bernd das Handtuch werden. Ein Konkursverwalter betrat nun die Bühne. Bernd trug das mit heldenhafter Tapferkeit. Aber als feststand, dass erstens weitergespielt wurde bis zum vorgesehenen Ende und alle Schauspieler und Techniker ihre volle Gage bekamen - da war er erleichtert. Und so ging es auch.

Husumer Nachrichten, 9.7.98, Teil 1
Husumer Nachrichten, 9.7.98, Teil 1

Und wir hatten auch ein mutiges Publikum. Auch wenn der Himmel sich gegen uns stellte sie kamen – da war die Tribüne zwar nicht gut besetzt, aber immerhin. Das alles, das reichte zwar nicht aus, aber es hatte etwas Besonderes – es war jedes Mal die Aufforderung weiter zu machen, nicht aufzugeben.

Ich erinnere mich an einen Abend, da dräute der Himmel heftig. Einige hundert Zuschauer ließen sich aber davon nicht abschrecken. Sie hatten sich vorbereitet. Regenschirme, Regenhäute, Wolldecken – was immer auch nötig war zum Überstehen. Doch dieses besondere Mal – Kaum hatten die Zuschauer Platz genommen, da begann der Regen. Stürmisch war es außerdem. Der Regen nahm zu. Der Sprecher der Schauspieler, unser Narr, Heinz Rennhack, ein aus dem Rahmen fallender hochbegabter Schauspieler, er fragte beim Publikum an, ob sie nicht aufhören sollten - und vor der Pause gab es das Eintrittsgeld zurück – und es war noch vor der Pause. Aber sie wollten, dass weitergespielt wurde. Sie gingen in die Pause auf besseres hoffend. Das stellte sich aber nicht ein.

Husumer Nachrichten, 9.7.98, Teil 2
Husumer Nachrichten, 9.7.98, Teil 2

Im zweiten Teil des Musicals nahm der Regen sogar noch zu, der Sturm auch. Das Freilichttheater glich mit seiner Gesamtmann-schaft einem Schiff auf hoher See. Nur hier hätten sie noch aussteigen können – aber sie hielten durch bis zum Ende. Und nun konnte man ja erwarten, dass sie sich am Schluss so schnell wie nur möglich in das rettende, trockene Bewir-tungszelt flüchtete. Nein. Dem war nicht so. Sie standen am Schluss auf und spendeten immer wieder Beifall und Bravorufe dazu – eine Viertelstunde lang im strömenden Regen.

Das brachte meine Schauspieler zum Staunen, zum Respekt vor so einem Publikum. Und sie wollten das belohnen. Und so luden sie die Presse für den nächsten Tag vor der Vorstellung ein, um sich bei der Presse für so ein Publikum zu bedanken – die Seiten hatten damit gewechselt. Sonst war es üblich, dass das Publikum sich bei den Schauspielern bedankte - Die Schauspieler standen vor so einem Publikum sehr beein-druckt, sehr berührt. Und einige von ihnen wiederholten immer wieder, dass sie nun schon zwanzig, dreißig Jahre beim Theater wären – auch auf Tournee mit dem Theaterwagen, dass sie aber so etwas in ihrem Schauspielerleben noch nie erlebt hätten. Das Nordpublikum galt ja als kühl, spröde. Alles nun widerlegt – trotz allem aber - -

Das war ein besonders herausragendes Geschehen, aber auch sonst - keine Vorstellung ging zu Ende ohne ‚standing ovations‘.

Für mich – für den Autor – Musik. Ich hatte einen Theatererfolg erzielt, der alle Voraushoffnungen weit übertraf. So ein Erfolg war auch Neuland für mich. Es gab nicht eine Zeile Negatives – weder in den Printmedien, noch im Funk, Fernsehen, Magazinen, Illustrierten – und es sprudelte von Berichten und Besprechungen.

Den großen Erfolg dokumentierte auch, dass sich zwei Fanclubs zusammengefunden hatten. Und das zeigte sich besonders bei der letzten, der Abschiedsvorstellung – der 53. Bei gutem Wetter!!!

Natürlich bauten die Schauspieler bei dieser letzten Vorstellung einige unvorhergesehene Gags ein – improvisierte, lustige – das gehörte dazu. Ich sagte schon, glücklicherweise stand uns an diesem letzten Abend das Wetter bei. Und am Schluss und zwischendurch Applaus, Applaus – lange – Der Schlussapplaus wollte nicht aufhören. Und immer Rufe, Sprechchöre „Weitermachen!! Weiter-machen!!!“ „Im nächsten Jahre wieder hier!!“ Zum letzten Male stand ich wieder auf der Bühne mit meinen großartigen Schauspielern, zum letzten Verbeugen – zum letzten ‚Danke schön‘ auch an die Zuschauer.

Die Fanclubs hatten etwas vorbereitet. Niemand von uns wusste davon. Sie hatten tausend rote Rosen gekauft, sie entblättert und nun – im Schlussapplaus – ließen sie die roten Rosenblätter auf uns, auf die Bühne nieder rieseln. Wir standen in einem Rosenblättermeer. Er war herrlich!! Für alle!!


Husumer Nachrichten, 18.8.98
Husumer Nachrichten, 18.8.98


Die anschließende Abschiedsfeier hatte es in sich. Ein Taxi fuhr mich in den Morgenstunden zu meinem Quartier. Alkoholnachwirkungen am nächsten Tag gab es zwar – aber das war nur ein lässliches Sündennachschweben.

Wir dachten in der Tat daran, das Musical zu wiederholen – viele sprachen davon und redeten mit uns darüber – alle meinten, das wäre ein Wiederläufer – ein Selbstläufer für das nächste, übernächste und ein weiteres Jahr und mehr –

Wir hätten es gern getan – aber der Geldsegen dafür blieb aus. Es sollte nicht sein -

Schade - - - - -

Es war am Schluss noch einmal recht gut Geld in die Kasse gekommen – aber das reichte nicht für die ganze Zudecke.

Die Hauptmacher des Musicals kamen bei der Verteilung des Restgeldes am schlechtesten weg. Bernd Tetens erhielt immerhin noch ein kleines Geld, da er vom Konkursverwalter zur weiteren Betreuung des Projektes eingesetzt wurde. Für zwei Monate ein Galgengeld. Und ich – ohne den nichts gewesen wäre? Unbezahlte Spesenrechnungen – sonst nichts. Nicht einen Pfennig für mich. Eine kleine Einbusse hatte der Regisseur, aber seine Gage war ja recht ansehnlich. Der einzige der wirklich daran verdiente war der Konkursverwalter. Er nahm sich sofort eine ganze Menge Geld und am Schluss sah es für ihn mit über 90.000 Mark ganz gut aus. Er war damit bestens bedient und das mit dem Segen der gegebenen Gesetze. Alles korrekt - - und ich - - ?- ? – Alles korrekt?

Ich musste es aushalten. Aber eines kann mir keiner nehmen und das kann kein Geld der Welt bezahlen – und das war mein Riesenerfolg. Das war der Glanz zu meinem Namen und das ließ mich auf hellen Wegen gehen – und das trug meinen Namen wieder einmal weiter dahin – Und so etwas brauchte man als Autor ab und zu –

Heute kann ich zu dieser Musical-Wetter-Pleitepanne schon wieder lächeln – sogar Bernd Tetens über zwei rotweingefüllte Gläser – Prost –


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Husumer Nachrichten, 7.4.1998
Husumer Nachrichten, 7.4.1998