Flucht nach Berlin (1951)

Die Flucht nach Westberlin musste vorbereitet werden – da gab es keinen Ausweg mehr. So sah ich das und so sah es auch Gisela. Aber wie und wann – Ich sollte, durfte die Stadt nicht mehr verlassen – und sicher, ganz sicher wurde ich auch beobachtet. Ich habe es nicht bemerkt, aber das gehörte zu ihrem Spiel – Und dann kam mir sein sehr guter Gedanke. Ich kann noch den ehemaligen Chefdramaturgen des National-Theaters, Weimar. Er war jetzt Chef der DEFA in Berlin geworden – der Ostfilmgesellschaft. Ich schrieb ihm und ließ ihn wissen, dass ich einen ganz interessanten Filmstoff haben – einen, wie ich glaube, ganz besonderen Zeitstoff. Nur telefonisch könne ich das nicht mit ihm besprechen. Er möge mir doch bitte einen Brief schreiben, damit ich hier leichter loskäme.

Das tat er. Ich erhielt die Genehmigung für die DEFA in Berlin – das ging erstaunlicherweise ganz leicht. Da fuhr ich nun dahin. Meine alte Schreibmaschine, eine Olympia Plana, und ein Köfferchen. Nur nicht auffallen. Ich fuhr dahin, um nie wieder zurückzukehren.

Aber Gisela war noch in Erfurt. Eine Fahrt zu zweit, das wäre zu auffallend gewesen und wohl auch nicht genehmigt worden. So also zunächst ich – und dann sie. So war es geplant. Man konnte davon ausgehen, dass die Herren der SED aus Erfurt bei der DEFA nachfragen würden – und außerdem, da meine Gisela ja noch in Erfurt war, gab es auch ein Faustpfand - -

  - wie das klingt!

  Also, klar. Ich hatte mich unverzüglich zur DEFA zu begeben, zu meinem alten Freund – Freund – ist etwas zu viel gesagt, aber ein guter Bekannter – nun künstlerischer Leiter.

  Damals – 1950 – da kam man noch von Ostdeutschland im Westen an – am Bahnhof Zoo. Damit war ich zwar zunächst gerettet – aber das war bestenfalls die halbe Strecke – wir waren zwei – auf Leben und Tod aneinander geschmiedet. Und so begab ich mich schnellstens zu dem DEFA-König. 

  Als ich aus Erfurt abfuhr, da wusste ich noch nicht, was ich in Berlin erzählen sollte. Keine Idee zu einem Film. Aber eine Filmstory musste sein und eine möglichst gute.

  Und dann hatte ich es. Dieses polnische Zeitstück „Die Sonnebrucks“ sollten mich und Gisela retten. Und das tat es auch.

Meine Filmidee für die DEFA. Ich berichtete in dem DEFA-Büro vom dem Gastspiel, besser, von dem im Westen verhinderten Gastspiel mit diesem polnischen Stück. Es war eine Westeinladung für unser Erfurter Theater. Die Aufführung fand dann doch nicht statt. Sie wurde verhindert – Verbote, unsinnige ‚Nein-Sagung‘ dazu – Jedenfalls wir kamen nicht zum Zuge, nicht zu unserer Westaufführung. Aber wir waren nun im Westen und das ganz legal. Dann merkten wir es – V-Leute des Westens auf unseren Fersen. V-Leute – so wurden Vertrauensleute des Westgeheimdienstes genannt.

  Nun – Ist das kein Filmstoff vom Ostfeinsten ?!  

  Mein DEFA-Bekannter war begeistert. Und wollte diesen Film sofort vorziehen. Er sollte das nächste große Filmprojekt werden. Ja – das war eine große, gesellschaftlich lobenswerte Story und konnte Anerkennung bringen von der Wolga bis zur Saale – allemal.

  Diesen Status wollte ich erreichen. Wenn sie nachfragten die Erfurtforscher – und das würden sie bestimmt – dann hatten sie jetzt eine Antwort, die ihnen die Spucke verschlagen würde. Sicher, sicher – das Misstrauen würde siegen – daran gab es keinen Zweifel – aber es bedeutete eine Atempause zur Nachflucht von Gisela – und diese Flucht fand am folgenden Tage statt – auch nur mit zwei Köfferchen –

  Sie kam unbehelligt am Bahnhof Zoo in Berlin an – aber – ich verpasste sie –

  Wir trafen uns in Zehlendorf, wo wie unsere Treffadresse hatten – im Fischtal, so hieß diese Straße –

  WIR WAREN GERETTET - - -

 Provisorisch untergekommen. Eine Luftmatratze für mich und es war tiefster Winter an diesem Dezembertag – Hoher Schnee, große Kälte. Ja – eiskalter Dezembertag. Ein Provisorium bei einem Freund – wie ich dachte, glauben musste – ein Provisorium, aber nicht gern gewährt – nicht von Herzen für die ‚Brüder und Schwestern‘ von drüben – vom Osten – wie immer westpropagandistisch verkündet.

  Immerhin eines – dem Flüchtlingslager entgangen – und das war schon eine ganze Menge.